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Nebel, Feuer und der längste Tag des Motorsports
Manche Rennen suchen den Rausch der Geschwindigkeit. Andere die perfekte Show. Aber das 24-Stunden-Rennen auf dem Nürburgring? Es sucht nichts. Es fordert. Es wartet. Es prüft. Es ist kein Event – es ist eine Ausnahmesituation. Ein meteorologisches Phänomen. Ein 25 Kilometer langes Ritual aus Gummi, Benzin und Gänsehaut. Wer hier startet, kämpft nicht nur gegen Gegner – sondern gegen Schlaf, Technik, Zeit und sich selbst.


Nicht nur Motosrport, sondern Car Culture
Alles beginnt 1970. Inspiriert von Le Mans, aber deutlich kompromissloser. Damals kombiniert man die alte Grand-Prix-Strecke mit der Nordschleife – eine knapp 23 Kilometer lange Schleife aus Asphalt, Wurzeln, Nebelzonen und 300 Höhenmetern. Schon im ersten Jahr ist klar: Das ist kein Rennen für Schönwetterfahrer. Das hier ist ein Testfeld für Maschinen – und Menschen, die nicht aufgeben.


Ein Tag, der nie endet
Die Nordschleife selbst ist der Star. Jackie Stewart nannte sie die „Grüne Hölle“ – und wer einmal im Regen durch Pflanzgarten oder Fuchsröhre geballert ist, weiß warum. Es gibt keine Auslaufzonen. Keine Gnade. Nur Rhythmus, Risiko und Respekt. In einem Sektor scheint die Sonne, im nächsten prasselt Regen. Du kämpfst nicht um Bestzeiten, sondern ums Durchkommen.

Die wichtigsten Meilensteine? Viele. 1983: Hans-Joachim Stuck gewinnt im Regen mit einem BMW 635 CSi – mit Gefühl im Gasfuß und Nebel auf der Windschutzscheibe. 1993: Sabine Schmitz wird erste Frau, die das Rennen gewinnt – in einem BMW M3. Kein PR-Gag, sondern pure Dominanz. Sie bleibt bis heute Legende am Ring. In den 2000ern kommen die GT3-Boliden: Porsche, Audi, AMG, BMW – die Werksduelle beginnen. 2021 zeigt der Ring wieder, wer Chef ist: Nach zehn Runden wird das Rennen wegen dichten Nebels abgebrochen. Kein Grip. Keine Sicht. Keine Diskussion.



Aber die wahren Geschichten spielt das Rennen nachts. Wenn du um 3:37 Uhr durch ein Tal fährst, in dem die Scheinwerfer aussehen wie Laserschwerter. Wenn ein Trabi neben einem Aston Martin startet. Wenn ein Team mit Gaffa-Tape und gebrochenem Querlenker ins Ziel rollt – und die Fans in der Eifel dafür lauter jubeln als irgendwo sonst auf der Welt.
Denn hier geht es nicht nur um Platz eins. Sondern um das Durchziehen. Um die Schicht bei Sonnenaufgang. Um den einen Stint, der sitzt. Um das Biwak am Streckenrand, wo neben dem Grill auch ein Soundsystem läuft. Das Publikum? Kein VIP-Zelt, sondern Palettenbauten mit Bengalos. Kein Paddock Glam, sondern ehrliche Begeisterung. Der Nürburgring 24h ist kein Motorsportevent – es ist ein kollektiver Ausnahmezustand. Ein Rennen mit Lagerfeuer-Vibe und Herzrasen-Momenten.


Heute starten über 130 Autos. Über 500 Fahrer:innen. Über 280.000 Fans. Die Fahrzeuge reichen von Werks-Audis bis zum Manta mit Fuchsschwanz. In der SP9-Klasse kämpfen Ingenieure um Millisekunden. In den kleineren Klassen geht es ums Überleben. Das Rennen wird gestreamt, gestoppt, kommentiert – aber seine Seele bleibt: ein 24-Stunden-Longplay aus Stahl, Dreck, Teamwork und Adrenalin.

Was dieses Rennen unsterblich macht, ist nicht der Pokal. Es ist das Gefühl, wenn du morgens um 9 mit zitternden Händen nochmal einsteigst. Wenn du um 14:52 die Boxentafel siehst. Wenn du nach 24 Stunden, mit müden Augen und kaputter Kupplung, die Ziellinie überquerst.
Das 24h-Rennen auf dem Nürburgring ist nicht glatt. Nicht perfekt. Nicht clean. Aber genau deshalb ist es eines der letzten echten Dinge im Motorsport.


Denn hier zählt nicht, wie schnell du warst. Sondern, dass du durchgekommen bist. Dass du den Nebel, das Chaos, die Nacht überstanden hast. Und dass dein Name – ob ganz oben oder ganz unten – im Protokoll steht.
Eine Runde nach der anderen. Ein Mythos, der nie ganz aufhört.

